Mittwoch, Mai 14

Folkiger Rundbrief Nr. 2025-1 - Mundart. Das Liedermacherfestival in Saarbrücken

 Folkiger Rundbrief Nr. 2025-1 - Mundart. Das Liedermacherfestival in Saarbrücken

(Stand: 14.05.2025)

Hier kommt demnächst ein Bericht über das Mundartliedermacher-Festival in Saarbrücken am 7. bis 9. März 2025 (https://www.mundartlieder.de/) . Aber zuerst wird er in gekürzter Form auf https://folker.world/?s=Michael+A.+Schmiedel erscheinen, und dann in längerer Form hier.

(Stand: 05.06.2025)

Die kürzere Fassung ist jetzt online: https://folker.world/live-dabei/fotobericht-mundart-das-liedermacherfestival/.


Plakate des Festivals


Ein Wort vorneweg: Ich habe während des Festivals so viele Informationen durch die Anmoderationen und Gespräche erhalten, wie sie dann aber für eine Veröffentlichung auf folker.world zu viele waren. Hier aber findet man diese alle, wobei ich einige Ergänzungen und Korrekturen, die unser Endredakteur Stefan Backes vorgenommen hat, hier aber auch noch mit eingebaut habe. Das ist also eine Veröffentlichung für die, die es nicht unbedingt so kurz und bündig brauchen. 


Saarbrücken ist die Hauptstadt des Saarlandes und eine wichtige Metropole in der Großregion SaarLorLux, deren Zentrum das Bundesland Saarland, die ehemalige Region Lorraine (deutsch: Lothringen) und das Grand-Duché de Luxembourg/Großherzogtum Luxemburg/Groussherzigtum Lëtzebuerg bilden. Man könnte denken, ein Mundartliederfestival könnte in so einer Stadt den großen Saal des Staatstheaters an der Saar füllen.

Dem aber war nicht so, sondern für das erste Märzwochenende war das Theater im Viertel am Landwehrplatz die Heimat dieses Festivals. Die kleine "Blackbox" im Herzen der Stadt ist ein Kreativort der freien Theater- und Musikszene. In diesem Gebäude befindet sich außerdem noch eine Filiale des Staatstheaters und ein Restaurant. Gebaut wurde es als Feuerwache.

Innen gibt es einen kleinen Saal, mit nur 60 regulären und ein paar zusätzlichen Sitzplätzen. Die waren aber an allen drei Konzertabenden mehr als ausverkauft. Dieses Foto entstand am Sonntagnachmittag vor einem der beiden Fachvorträge.

Mit Bistrotischen, einem Klavier und einer kleinen Theke war der Saal zusätzlich möbliert. Der Raum fungierte zugleich für die erste Ausstellung des Saarbrücker Künstlers Jens Stoevesand. Die kleine rote Kanne indes steht normalerweise auf dem Wohnzimmertisch von Manuel Sattler. So war der Saal sehr geschmackvoll und persönlich dekoriert, was zur angenehmen Atmosphäre beitrug.

Manuel Sattler, Liedermacher in Saarbrigger Mundart und Festivalleiter, „und das ist gut so“ wie er sagte. Bei einem Abendessen mit Feli alias Clara Feles und Lennon von Seht im Rahmen des Adriakustik-Festivals in Deutzen bei Leipzig kam ihm die Idee, in seiner Heimatstadt auch mal ein Mundartliederkonzert zu organisieren. Aus dem Konzert wurde ein Festival.

Er und vor allem Susanne Wachs, Radiomoderatorin bei SR 3 Saarlandwelle, führten durch die drei Tage des Festivals. Susanne Wachs ist eine Unterstützerin der Mundartmusik aus der Großregion – auch wenn dieses Wort während des Festivals nicht fiel – im Radio. Sie sagte zwar, wenn sie ein Mikrophon vor der Nase habe, sei sie gewohnt, hochdeutsch* zu reden, aber dennoch schaffte sie es, fast durchweg auf Moselfränkisch zu moderieren. Und für den Ruhestand nimmt sie sich vor, Akkordeon und Luxemburgisch (Lëtzebuergesch) zu lernen. 2024 wurde Susanne Wachs für ihr Engagement mit dem Preis der Emichsburg im Rahmen der Bockenheimer Mundarttage ausgezeichnet.

*Das Wort verwende ich hier nur im Rahmen eines indirekten Zitates, während ich es sonst als tendenziell die Standardsprache höher wertend als die Dialekte vermeide. Das muss man aber nicht so sehen. 

Der erste der drei Abende begann mit Zack die Waldfee. André Jungmann (Gesang) und Sebastian Becker (Gitarre, Gesang) aus Theley im moselfränkischen Norden des Saarlandes bilden das Duo mit diesem merkwürdigen Namen. Schon seit über 30 Jahren singen sie Lieder „auf Platt, aber nicht platt, sondern eine anspruchsvolle Mischung aus Lustigem und Ernstem“ (Susanne Wachs bei der Anmoderation). Ihre Lieder handeln vom Wegrationalisieren älterer Mitarbeiter, vom dummen Geschwätz in der Kneipe und vom Vermissen der Liebsten mit dem mundartpoetischen Geständnis: „Eich vermisse Deich!“ Wie sie auf den Bandnamen kamen, wissen sie selbst nicht mehr, aber er war das Ergebnis einer durchzechten und musikalischen Kneipennacht in Theley. Auf Mundartlieder kamen sie, die sie ursprünglich aus dem englischsprachigen Punk kommen, weil sie so vom Publikum und auch von sich selbst besser verstanden werden. Und die Lieder entstehen ganz locker, ausgehend von einer Melodie, auf die sie dann Wörter suchen, ohne damit berühmt werden zu wollen. So verabreden sie sich auch mal für eine Aufnahme in Beckers Tonstudio, ohne eine Aufnahme zu machen, aber die Zeit genießend. So fragt man denn auch heute vergeblich nach einer aktuellen CD. Ihren größten Hit landeten sie im Land der Lyoner und des Schwenkbratens mit „Roschdworschdbud“, einem Lied über die Bratwurstbude als lukullischer und sozialer Institution.


Vom westmitteldeutschen ging es sodann in den niederdeutschen Bereich, also ins Plattdütsche. Dabei wuchs Lennon von Seht aus Neumünster, Sohn zwar einer norddeutschen Mutter, aber auch eines schwäbischen Vaters, gar nicht in der Mundart, sondern im Standarddeutschen auf. Vorbild Hannes Wader stammte ja auch nicht von so weit im Norden, sondern aus OWL, so dass auch von Seht es wagte, das Plattdütsche von der Fremdsprache zu seiner eigenen zu machen. Von Nativespeakern auf seine manchmal nicht so ganz echt klingende Aussprache angesprochen sagt er dann, in Neumünster spreche man das so aus – sofern der Fragende nicht gerade von dort kommt. Er meint aber, wenn keine neuen Plattsnaker dazu kämen, sterbe diese Sprache aus. Mit der Liedermacherei begann er vor fünf Jahren und gewann 2023 einen Song Contest für plattdeutsche Lieder. Aussehend wie ein echter Seebär singt er natürlich auch norddeutsche Volkslieder, aber vor allem doch eigenes, wie ein Lied über ein echtes norddeutsches Kind, aber nicht alles auf Platt, sondern auch auf Standarddeutsch, wie ein Lied über das Nachhausemüssen, um Blumen zu gießen. Er gewann das Publikum aber auch zum Mitsingen in der ihm fremden Mundart: „Op de See und gout Wedder und all de Lütt, die so sind als wir“ („Auf die See und gutes Wetter und alle die Leute, die so sind wie wir“). Wenn er ein neues Lied schreibt, entscheidet er sich erst im Prozess der Liedwerdung, welche Sprache es sein soll.

Aus Luxemburg/Luxembourg/Lëtzebuerg stammt Serge Tonnar. Das Großherzogtum ist dreisprachig, nämlich deutsch, französisch und luxemburgisch, wobei das Luxemburgische eine sogenannte Aufbausprache ist. So nennt man Dialekte, die durch Verschriftlichung, Kodifizierung einer Grammatik und anderes zu einer eigenständigen Sprache (gemacht) werden. So ist es heute auch eine politische Frage, ob man sagt, Luxemburgisch sei ein moselfränkischer Dialekt oder eben eine eigene Sprache. Während Tonnar, der auch ursprünglich auf Englisch sang, erstmal mit seinen luxemburgischen Liedern in Deutschland auftrat, in seinem Heimatland sehr bekannt ist, ist er indes wegen seiner scharfen politischen Kritik nicht von allen gemocht. Eines dieser kritischen Lieder sang er auch an diesem Abend: Es handelt davon, dass das Luxemburger Parlament, die Chambre, beschloss, um Geld zu sparen, statt französischem Schampes (Champagner) nun Luxemburger Cremant zu trinken. Auch in Luxemburg brachte erst sein drittes Album den Durchbruch, und im Radio landete er mit einem Lied, dem er das nie zugetraut hätte, einen Hit, den nun das ganze Land kennt und das er auf jedem Konzert spielen muss: „Belsch Plaasch“, also „Belgischer Strand“. Und zwar ist die belgische Küste der Luxemburger nächstes Land am Meer und beliebtestes Urlaubziel. Auch wenn man aus der Perspektive eines deutschen Mundartfans etwas neidisch auf den Stellenwert des Luxemburgischen in Luxemburg schaut, so sagte Tonnar doch, dass auch dort und in den angrenzenden Gebieten im Dreiländereck nur noch wenige, vor allem ältere Menschen Luxemburgisch sprechen. Mit einer Besonderheit des Luxemburgischen erstaunte er dann das deutsche Publikum: Im Luxemburgischen gibt es kein Wort für „lieben“. Statt „ich liebe dich“ sagt man „Ech hunn dech gär“ („Ich habe dich gerne“) oder „Ech sin frou mat lech“ („Ich bin froh mit Dir“). Stefan Backes führte im Rahmen des Festivals auch ein Interview mit Serge Tonnar für den folker, aus dem für die Nr. 3/2025 ein Artikel entsteht.

Der erste Festivalabend schloss mit einer Aftershowparty, auf welcher noch viel gesungen und gelacht und auch ein wenig getanzt wurde, nicht nur von denen, die als Musikerinnen oder Musiker geladen waren, sondern auch vom Publikum. Allerdings nicht nur auf Mundart, sondern auch auf Englisch. Man merkte auch daran, dass diese Musikerinnen und Musiker mit ihren Mundarten keine Grenzen hochziehen, sondern Brücken bauen wollen und offen sind für Einflüsse aus der ganzen Welt.

Morgengymnastik? Ja und nein. An beiden Morgen, also am Samstag und am Sonntag, gab es Workshops, deren einer ein Chorworkshop namens „Sing mit uns! Einstimmig, mehrstimmig, vielstimmig!“ war. Bevor die Teilnehmenden mit dem Singen anfingen, wurden sie aufgefordert, sich mit ein paar körperlichen Übungen zu lockern. Chorleiterin Amei Scheib aus Saarbrücken führte sie im Verbund mit Feli und Elena Seeger von diesen Gymnastikübungen bis zu einer vierstimmigen Perfomance von Liedern der beiden Liedermacherinnen auf Norddeutsch und auf Schwäbisch. Von Feli war es besonders ihre Liebeserklärung an den „Norden“ in dem gleichnamigen Lied und von Elena Seeger das Lied „Höchschde Zeit“ über die Notwendigkeit, schnell etwas für den Klimaschutz zu tun. Dieses Lied hat sie selbst im Overdub-Verfahren vierstimmig auf ihre CD eingespielt, kann es aber live bei Konzerten nicht vortragen. Erstmals hörten beide ihre Lieder von einem Chor vorgetragen, was sie doch sehr berührte. Auftrittsreif war das Ergebnis noch lange nicht, aber es machte Freude. Und das sollte doch das Wichtigste sein!

Der andere Workshop namens „Das Travispicking. Die Kunst des Fingerpickings“ war einer für Gitarristinnen und Gitarristen. Michael Schäfer aus Saarbrücken (rechts mit der Mütze) brachte den Teilnehmenden, darunter auch Manuel Sattler, der Schäfer auch deswegen eingeladen hatte, um selbst noch was dazulernen zu können, einige für sie neue Handgriffe bei. Will man nicht nur Akkorde schrammeln, sondern auch Melodien spielen, ist das Fingerpicking eine gute Technik, das zu bewerkstelligen. Es ging bei diesem Festival also nicht nur um Mundarten, sondern auch ums Instrumentenspiel beziehungsweise die Liedbegleitung.

„Von rechten Liedermacher:innen, Identitären und Neuen Rechten. Rechtsextremist:innen im Wandel der Zeit“ war der Titel eines Fachvortrages am Samstagnachmittag. Der Kuseler, also Pfälzer, Erziehungswissenschaftler, Bildungsreferent und Aktivist Bastian Drum gab Beispiele von der Instrumentalisierung der Liedermacherei durch politisch rechte Akteur:innen. Es ist klar, dass man für jede politische Richtung Lieder schreiben und dass Volksmusik auch Identitären gefallen kann. Insofern sei es sehr wichtig, Grenzen zu ziehen und die eigene Musik nicht vereinnahmen zu lassen. Die Folkmusik der Musiker:innen dieses Festivals, sofern überhaupt politisch, war jedenfalls, um es mit einem Zitat des Schauspielers Will Quadflieg Senior zu sagen ganz klar als „überzeugte Mitte mit einem entschiedenen Ruck nach Links“ einzuordnen. 

Mit Konzerten ging es am Samstagabend weiter. „Ich bin 47 … geboooren!“ So stellte sich Feli alias Karla Feles, dem Publikum vor. Sie machte in ihrem Leben zwei wichtige Metamorphosen durch. Erstens zog die gebürtige Waldbrölerin aus der rheinisch-bergischen Heimat nach Hamburg und eignete sich das Hamburger Platt als Herzenssprache an und zweitens machte sie nach ihrer Pensionierung 2010 nach 40 Jahren Schuldienst 2018 einen Workshop mit und wurde Liedermacherin. Mit Akkordeon oder Gitarre sang sie ihre Lieder wie „Dor geit dat Hart op“ („Da geht das Herz auf“), „Op de Alster schwimmt Qualster“ („Auf der Alster schwimmt zäher Schleim“) und natürlich „Norden“, das die im Publikum befindlichen Teilnehmenden des Chorworkshops besonders begeistert mitsangen, wenn auch nicht vier-, sondern nur einstimmig. Von Susanne Wachs befragt, wie denn so ihre Lieder entstünden, sagte sie: „Ich spring manchmal auf irgendein Wort an oder einen Satz, den ich irgendwo aufschnappe und denke: ja passt irgendwie; und verpack das dann in schöne Bilder, die auch andere irgendwie wiedererkennen können; und das geht dann automatisch, glaub ich, hab ich das Gefühl; und denk dann nicht weiter, wie kriege ich das wunderschön hin, irgendwie klappt das dann eben.“ Nachdem sie schon früh Blockflöte, Klavier und Gitarre gelernt hatte, kam das Akkordeon erst vor acht Jahren dazu. Malen und Nähen kann sie auch. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Feli einem die Angst vor dem Alter nehmen kann!

Vergleichsweise jung, nämlich 36, ist Elena Seeger, aufgewachsen im Killertal auf der Schwäbischen Alb, wobei das Tal nicht wegen vieler Verbrecher so heißt, sondern nach dem Bach benannt ist, der es durchfließt. Schwaben ist groß und Schwäbisch ist vielfältig. „Schon in Stuttgart versteht man uns nicht“, sagte sie. 2024 gewann sie den zweiten Landespreis für Dialekt in Baden-Württemberg in der Kategorie Lied und Musik, nach Wendrsonn, über die der folker auch schon berichtete. Ihre Lieder an diesem Abend handelten von der „Nachtkrapp“, die einen holte, wenn man nicht einschlafen will, über „Springerle“, ein Süßgebäck, wobei das Wort aber für alle Kleinode steht und über das Jommere und Bruddla, also das Jammern und Schimpfen, als zwei der Lieblingsbeschäftigungen der Schwaben. Mit „I du‘s it“ („Ich tue es nicht“) in „Big Buisiness“ gab sie übertriebenem Ehrgeiz eine Abfuhr, wobei sie ihrer Mutter versprechen musste, beim „I schlof aus“ („Ich schlafe aus“) im Refrain, dem Publikum zu erklären, dass sie die Nacht vor dem Ausschlafen durchgearbeitet hat, denn sonst wäre die schwäbische Familienehre über Generationen hinweg beschädigt. Die Melodien, die sie sang und auf Gitarre und Kazoo spielte, erinnerten dabei an Samba und Bossa Nova. Zu bruddla gab es da nichts, sondern diese Lieder waren wahre Springerle!


Am Sonntag gab es außer den morgendlichen Workshops und dem Abendprogramm auch am Nachmittag ein Konzert. Schon seit den 1980ern pflegt das Trio Schaukelperd aus Sarreguemines/Saargemünd, der direkt saaraufwärtsgelegenen lothringischen Nachbarstadt Saarbrückens, bestehend aus Didier Atamaniuk (Geige, Tin Whistle, Gesang), Hervé Atamaniuk (Drehleier, Rahmentrommel, Tin Whistle, Gesang) und Michael Schäfer (Nicht der Fingerpicker vom Workshop; Gitarre, Gesang), Lieder in Lothringer Mundart. Hervé Atamaniuk ist zugleich der Bürgermeister von Sarreguemines und der Veranstalter des dort seit 30 Jahren stattfindenden Plattfestivals. Nicht wenige ihrer Lieder stammen aus der Sammlung „Verklingende Weisen“ vom Pastor Luis Pick, der sie in der Zeit gesammelt hat, als Lothringen zu Deutschland gehörte. Die Lieder sind teils auf Mundart, teils auf Standarddeutsch überliefert. Auch die Weise, in der sie die Lieder und zwischendurch instrumentelle Tanzstücke zu Gehör brachten, könnten so vor hundert Jahren geklungen haben, wobei die Drehleier zu der Zeit eventuell auch in Lothringen schon ausgestorben war und im Zuge des Folkrevivals der 1970er/80er wieder Einzug hielt. Auch die Tin Whistle ist sicher der Keltophilie dieser Folkwelle zu verdanken. Heute schauen die Lothringer etwas neidisch auf die Bretonen, deren Musik nach wie vor in ganz Frankreich zu hören ist und auf das Elsass, dessen Mundart mit Wein und feiner Lebensart assoziiert wird, während Lothringen wie das Saarland ein Land des Kohlebergbaus und der Stahlverhüttung war. So ist es auch diese „schwarze“ Kultur, an die sie die Erinnerung hochhalten wollen und überhaupt an die Schwere, in Lothringen seinen Lebensunterhalt zu verdienen, woran zum Beispiel das Lied „Armer Lothringer Bur“ („Armer Lothringer Bauer“) erinnert, das auch sonst im Deutschfolk weite Verbreitung fand. Zwischendurch machten sie immer Witze über das Verhältnis der deutschsprechenden Lothringer zu den Innerfranzosen, zu den Elsässern und zu den Saarländern oder auch über die Bitscherländer, eine Art „Ostfriesen Lothringens“. Deutsch, egal ob Mundart oder Standarddeutsch zu sprechen, war in französischen Schulen übrigens lange verboten, da die Regierung in Paris eine Nation mit nur einer gemeinsamen Sprache propagierte. Heute scheint das Ende dieser Mundart tatsächlich besiegelt, denn von den jungen Leuten spricht es kaum noch jemand, auch wenn es nicht mehr verboten ist.

Auch einen Fachvortrag gab es am Sonntagnachmittag, der auch etwas leichtere Kost als der vom Samstag war. Philip Raut, Sprachwissenschaftler an der Universität Saarbrücken, hatte sich den schönen Titel „Nimmst Du noch oder holst Du schon“, der auch schon auf Viezports (Apfelweintassen) des Tourismusbüros von Trier stand, auch wenn er eine Verballhornung eines Werbeslogans eines schwedischen Möbelhauses darstellt. Gemeint ist hier, dass man im Moselfränkischen und teilweise im Rheinfränkischen sehr oft „holen“ sagt, wo andere Deutschsprechende „nehmen“ sagen. So ist man froh, wenn man beim Blick auf die Waage abgeholt hat, so holt man im Tonstudio Lieder auf oder holt eine Tablette ein. Ein anderes Spezifikum im Saarland ist, dass man ein Demonstrativpronomen an anderer Stelle in den Satz einbaut als bei anderen, wie zum Beispiel in dem Satz „die do leckere Roschdworschd“ („die da leckere Bratwurst“). Philip Raut selbst stammt aus dem Odenwald, und die Orewälder Mundart gehört auch zum Rheinfränkischen, aber an solche Besonderheiten habe er sich dann doch im Saarland gewöhnen müssen.

Den ersten der beiden letzten Acts dieses Festivals bestritt Manuel Sattler höchstselbst. Seine recht rockig vorgetragenen Lieder in Saarbrigger Platt erinnerten teilweise an die seines ripuarischen Kollegen Wolfgang Niedecken. Er sang mit kräftiger Stimme, aber etwas undeutlicher Aussprache vom „Toptourist“, der durch „modernen Ablasshandel“ reisenderweise nebenher das Klima retten will, von „Gertrud und Gudrun“, einem lesbischen Paar in seiner Nachbarschaft, von einer unangenehmen Sachbearbeiterin bei der Agentur für Arbeit aus der Zeit, in der er arbeitssuchend war – dieses Lied wird heute in Rheinland-Pfalz zur Schulung des Sachbearbeiternachwuchses verwendet – von seinem Wunsch, beim „Ordnungsamt“ zu arbeiten oder vom Dry January mit dem Refrain „Heut ist mal die Leber dran, so macht man das als Lebemann“. Man merkte ihm die Freude an, auf seinem eigenen Festival zu singen. Er bedankte sich ausgiebig bei allen, die dazu beigetragen haben, von finanziellen Unterstützern bis zu den Leuten an der Theke und an der Technik. Dann freute er sich darauf, dem letzten Sänger des Festivals vom Zuschauerplatz aus zuhören zu dürfen.

Dieser letzte Sänger des Abends und des Festivals war Marcel Adam aus Lothringen, jetzt, um nicht mehr alles in Deutschland und Frankreich zu versteuern, in Saarbrücken wohnt. Der folker hat zuletzt 2024 über ein Konzert von ihm in Limburg an der Lahn berichtet (vgl. https://folker.world/live-dabei/marcel-adam-ensemble/). Inzwischen befindet er sich im zweiten Jahr seiner dreijährigen Abschiedstournee. Am Abend zuvor hat er noch vor 400 Leuten gespielt, aber dieses kleine Festival gefiel ihm so gut, dass er sagte, wenn er nicht mehr auftrete, wolle er beim nächsten Mal gerne anders helfen. Anders als in Limburg sang er nun keine französischen Chansons, sondern nur Mundartlieder, die nun auch wirklich das Besondere seines Repertoires sind. Gleichwohl sind sie beeinflusst von eben diesen Chansons, denn auch wenn sie sich locker und fröhlich anhören, so haben sie doch oft ernste Texte, so wie „‘s Karoline von Sarreguemines“ („das* Karoline von Saargemünd“) über eine Wahrsagerin, die in Nazideutschland ins KZ kam, wo ein SS-Mann seinem Schäferhund befahl, sie zu beißen, was dieser aber nicht tat, während in „Bleeder Hund“ („Blöder Hund“) ein Artgenosse dieses Gehorsamverweigeres Marcel Adam selbst an einer sehr empfindlichen Stelle biss, über „De Passage“ („Die Passage“) des Lebens, die Durchreise, auf der wir uns alle befinden, über „De Muttergottes uf em Bersch“ („Die Muttergottes auf dem Berg“, zu der er auf dem Foto emporblickt), die ihre Arme über alle Menschen ausbreitet – wobei eine Zuhörerin ihm mal einen Brief schrieb, diese Marienstatue habe doch keine ausgebreiteten Arme – oder über „‘s Anna auf der Bank“ („Das Anna auf der Bank“), seine Oma, die für ihn wie eine Mutter war. Das muss er eh immer spielen, während er einen anderen Publikumsliebling, nämlich „De Oschterhas“ („Der Osterhase“) schuldig blieb, weil er dafür seine Band braucht. Seine zahlreichen CDs hört sich Marcel Adam selbst nie mehr an, einerseits weil der Perfektionist immer wieder Stellen finden würde, die er meint, noch besser gespielt haben zu können und andererseits weil er doch meint, so gute Lieder geschrieben zu haben und traurig wird, damit doch nicht den großen Erfolg gehabt zu haben. Susanne Wachs indes lobte seine Arbeit zur Erhaltung der Lothringer Mundart, was ihn aber nicht sehr tröstete, weil er diese trotzdem am Aussterben sieht. Er sagte, er habe mit seinen Liedern immer Geschichten erzählen wollen, so wie seine Vorbilder in Frankreich oder wie Bob Dylan und keine seichten Lieder über die Schönheit das Saarlandes singen wollen. Ja, dieses Ziel hat er erreicht, und wenn er nächstes Jahr in den Ruhestand geht, wird er fehlen! Seine letzten drei Konzerte werden am 20./21./22.12.2026 in Saarbrücken stattfinden. 

 *Stefan Backes ist der Meinung, man sollte das rheinfränkische "`s" im Standarddeutschen nicht mit "das" übersetzen, sondern den Artikel hier besser weglassen, aber ich habe es hier mal so belassen, wie es mir zuerst in den Sinn kam und wie es mit im Moselfränkischen und Ripuarischen als "dat" gewohnt ist. Möge der:die Leser:in selbst entscheiden, was ihr:ihm stimmig erscheint.

Zum Abschluss dieses Berichtes noch ein kleines Gruppenfoto mit Manuel Sattler, Elena Seeger, Feli, Lennon von Seht, Susanne Wachs und Marcel Adam. Anwesend auf dem Festival war indes noch ein wahrer Meister und eine Meisterin der Bühnenfotografie, Zippo Zimmermann und Katrin Reis, deren Fotos man auf der Festival-Website sehen kann: https://www.mundartlieder.de/fotos/. Von dort aus kommt man auch zu den Musikerinnen und Musikern und so weiter. In zwei Jahren soll das zweite Mundartliederfestival in Saarbrücken stattfinden.

 Dat woar et. 














Montag, Oktober 23

Folkiger Rundbrief Nr. 2023-1 - Spezial: Mundartmusik im Westen des deutschen Sprachraums (23.10.2023)

Vorbemerkung: Den folgenden Text schrieb ich für den Folker, doch wurde er für zu lang befunden. So gibt es nun drei Versionen: Eine kurze Fassung im Folker 3/23, also im Heft, eine längere Fassung auf folker.world, also online und diese superlange Fassung hier im Folkigen Rundbrief.

Der Folker 3/23 hat das Spezialthema Mundartmusik, innerhalb dessen es vier Überblicks- und mehrere Spezialartikel gibt. Die Überblicksartikel behandeln die deutsche Mundartmusik in vier Himmelsrichtungen: im Norden, im Osten, im Süden und im Westen. Mehr dazu unter https://folker.world/, wobei mein Beitrag unter https://folker.world/intensiv/dialektmusik-in-allen-himmelsrichtungen-4/ zu finden ist. Hier nun also die Superlangfassung meines Artikels über den Westen:




Zwischen Alltagssprache und Sprachenrettungsversuch
Mundartmusik im Westen des deutschen Sprachraums

Text: Michael A. Schmiedel


„Tief im Westen“ verstaubt nicht mehr die Sonne, wie Herbert Grönemeyer es über Bochum singt,  aber der Vielfalt autochtoner, indigener, ja endemischer Sprachen im Westen des deutschen Sprachraumes geht es nicht gut. Standarddeutsch ist fast überall Alltagssprache geworden, nur relativ wenige Menschen schwätze, babbele, küan, schwade oder kalle noch Dialekt, Mundart oder Platt. Dabei ist der Bereich dieses Artikels, nämlich Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Lothringen und Luxemburg mundartlich sehr vielfältig, hat er doch Anteil am Ober- und am Niederdeutschen mit dem Mitteldeutschen und der Das-Dat- und Off-Opp-Grenze mittendrin. Niederdeutsch ist von Lippe über das Münsterland bis zum Niederrhein vertreten, Mitteldeutsch als Nord- und Mittelhessisch von Nord- und Mittelhessen, als Ripuarisch im Bergischen Land, am unteten Mittelrhein, in der Kölner Bucht und in der Nordeifel und auch teilweise in Ostbelgien und den südlichen Niederlanden
und als Moselfränkisch über Siegerland, Westerwald und den Nordtaunus, dann über den Mittelrhein die Mosel hinauf mit Nordhunsrück und Eifel zu beiden Seiten ins nördliche Saarland und zum südlichen Rheinland und dann nach Luxemburg und Nordostlothringen und Oberdeutsch schließlich als Rheinfränkisch von Südhessen über die Pfalz, Rheinhessen und den südlichen Hunsrück bis ins südliche Saarland und Südostlothringen und das jeweils in eigenen regionalen und lokalen Idiomen. Situation und Status der jeweiligen Mundart und ihrer Musik ist dabei sehr unterschiedlich. Dabei sind die Gebiete Ostbelgiens und des niederländischen Limburg und Gelderland, in denen teils auch mittel- und niederdeutsche Dialekte gesprochen werden, hier ausgenommen. Und ebenso Gebiete in die Auswanderer:innen diese Dialekte gebracht haben, sei es in Rumänien (Siebenbürgen) , sei es in Brasilien oder USA (Pennsylvaniadeutsch) oder sonst wo.   

In Hessen gibt es den Dialekt-Dachverband MundART, „der gerade erst beginnt, Hessens Vielfalt zum Klingen zu bringen“, wie Götz Konrad von eben diesem Dachverband es erklärt. Die Band Odermennig aus Marburg und Gönnern beeinflusst Nachfolger wie Fäägmeel aus Gießen (1985-2005) und Meelstaa aus Löhnberg. Zu nennen seien auch noch die Rhöner Sauwentzt aus Eichenzell mit ihrem Bauernblues Comedy und Dark Vatter aus Kassel mit seinem Südstaaten Rock’n’Roll.

In Frankfurt singt Reiner Weisbecker Lieder ohne die Wörter „Bembel“ oder „Äppelwoi“, die Hayner spielen zum Tanz auf und im oberrheinischen Ried singt Bodo Kolbe den Riedblues, in Riedstadt-Leeheim gibt es das Duo Bees Denäwe und in Spachbrücken im Odenwald singt der Liedermacher Jürgen Poth, genannt Guggugg und in Babenhausen bei Offenbach die Mundart-Fels-Musik-Combo Schwarzworz, wobei „Fels-Musik“ deren Übersetzung aus dem Englischen ist.  Rockabilly gibt es von der Gruppe Reimtext um den Sänger Bobby N. Hepp von Schwanheim. Reiner Weisbecker lamentiert aber: „Die hessische Mundart-Musik-Szene leidet stark unter dem Nichtvorhandensein von Sendeformaten für Lokal/Regional-Acts beim Hessischen Rundfunk. TV- Präsenz gibt es ganz selten und Airplay unsrer CDs ist bei den diversen hr-Radiostationen so gut wie ausgeschlossen.“ Als Lichtblick erwähnt er aber das Hessische Bluesfestival „Blues, Schmus & Apfelmus”, das im Laubacher Schlosspark 2023 das 28. Mal stattfand.

 



 

Wieder im Norden sind die Lipper besonders stolz auf ihr ehemaliges Fürstentum, wovon auch Werner Zahn in seinen Lippsken Leuern (Lippischen Liedern) erzählt. Es sind liebevolle Heimatlieder, teils „aus der guten alten Zeit“, die aber auch ironisch aufs Korn genommen wird.

In Gesamtwestfalen scheint mundartmusikalisch nicht viel los zu sein, aber die Verbindung zum Nord-Niederrhein hält der in Rheinberg-Ossenberg geborene, jetzt in Osnabrück wohnende Günter Gall. Er recherchierte im niederrheinischen Volksliedarchiv von Prof. Ernst Klusen, von wo er Lieder in die Repertoires der Gruppen Fukkepott, Mulwerk und Düwelskermes übernahm. In den 1970ern/80ern wurden auch plattdeutsche Lieder im WDR gesendet, unterstützt durch die EU. Heute dagegen hält er das Plattdeutsche – also im Sinne von Niederdeutsche – am Niederrhein für ausgestorben. Gerade hat er selbst seinen Eintritt in den musikalischen Ruhestand erklärt (siehe hier [Link: https://folker.world/gehoert-entdeckt-gelesen/urgestein-der-szene-geht-in-den-ruhestand/).

Im Ruhrgebiet war Frank Baier Identifikationsmusiker Nr. 1 und inspirierte auch die Feuersteins, die allerdings standarddeutsch mit regionalen Wörtern und englisch singen. Im süd-niederrheinischen Krefeld spielt die Schäng Blasius Flönzrakete fetzige Balfolkmusik mit niederfränkischen Texten. Winfried Kappes, der die Band leitet, sieht mehr Einflüsse aus den Niederlanden als aus Köln. Und es gibt das Gitarrenduo Krieewelsche Fente. Die Grenze zum Ripuarischen ist da schon ganz nah. Winfried Kappes, geht allerdings davon aus, dass die Krefelder Mundart in 25 Jahren ausgestorben sein wird. Sein Satz „Im Stadtteil Traar gibt es noch einige jüngere Akteure, die erst 70 sind“ sagt alles: Wer jünger als 70 ist, spricht Standarddeutsch oder Regiolekt.


 

Auch in Köln hört man kaum Kölsch auf den Straßen, aber viel auf Bühnen: eine Website listet zirka 500 Bands und Solisten in Köln und Umgebung auf, von denen die Meisten Kölsch oder rheinischen Regiolekt singen. De Bläck Fööss, de Höhner, Tommy Engel, BAP, Köster & Hocker (aktuelle Nachricht: Frank Hocker ist am 14.10.2023 verstorben), Brings, Cat Ballou, Kasalla, de Paveier, de Räuber, der im letzten Jahr verstorbene Hans Süper sind nur die Spitzen eines riesigen Eisberges, der vor allem, aber nicht nur in den Gewässern des Fastelovends (Karneval) treibt. Köln ist im Vergleich zu den bisher vorgestellten Regionen wirklich ein Sonderfall. Vor 53 Jahren begannen die Bläck Fööss damit, was man kaum für möglich halten sollte, nämlich eine lokale Mundart in einer Großstadt modern-musikalisch salonfähig zu machen. Und es war schon damals keinesfalls nur Karnevalsmusik, wenngleich die fünfte Jahreszeit schon so etwas wie ein Brandbeschleuniger war und weiterhin das Feuer am Lodern hält. Als Hauptinspirator diente Willi Ostermann (1876-1936) mit seinen zum Teil standarddeutschen, zum Teil kölschen Liedern. Ein anderes Vorbild, nämlich Bob Dylan, hatte Wolfgang Niedecken, als er 1976 BAP gründete, die auch als dezidierte Nichtkarnevalsband die kölsche Mundart erfolgreich pflegen. Die 1972 gegründeten Höhner dagegen sind eine fast reine Partyband und singen auf rheinischem Regiolekt. Diese Bands gelten heute als die Urgesteine der kölschen Szene, die Vorbilder von Cat Ballou (gegründet 1999 in Bergisch Gladbach), Kasalla (2012 von „Imis“ aus Düren gegründet), die beide, obwohl nicht genuin aus Köln stammend, sich als Kölsche verstehen und die Mundart für die Musik lernten. 

 


            De Bläck Fööss am 28.06.2014 auf dem Siegburger Marktplatz
              Foto: MASchmiedel

         Cat Ballou und…
…Kasalla am 29.06.2019 beim Sound of Heimat-1,0-Festival auf dem Kunstrasen in den Bonner Rheinauen.
Fotos: MASchmiedel

Planschemalöör beim Bad in der Menge auf dem Marktplatz in Siegburg am 19.08.2019
Foto: MASchmiedel
 
 
 Köster & Hocker mit Gerd Köster (l.), Frank Hocker (m.) und Helmut Krumminga (r.) am 27.01.2023 im Kubana in Siegbnrg

Foto: MASchmiedel
 

 

Überhaupt wird die Integration von „Imis“ (Immigranten oder imitierte Kölsche) in der Domstadt sehr großgeschrieben, sei es zum Beispiel in dem Lied „Unser Stammbaum“ der Bläck Fööss, sei es in „Heimat“ von Planschemalöör, deren Mitglieder schon von ihrem dunkleren Teint her auf Imi-Vorfahren schließen lassen. Heimatlieder, ja, geradezu Hymnen auf Köln sind seit Jahren groß in Mode, und zwar immer als integrierende, inklusive Heimat, nie im Sinne der „Wacht am Rhein“. Nur um die Fragen eines Folker-Journalisten zu beantworten, fand keine der angefragten Bands die Zeit oder das Interesse. Man könnte sagen, sie haben das nicht nötig. Nett gewesen wäre es trotzdem! Die Medien – und das keineswegs nur der WDR – transportieren zumindest zur Karnevalszeit Mundartlieder quasi rund um die Uhr in die Öffentlichkeit.


 Wibbelstetz
         Foto: Barbara Hochgürtel



Auch noch Ripuarisch singt die Band Wibbelstetz aus Nettersheim und Umgebung in der Nordeifel (1984 gegründet), allerdings mit spezifischen Eifeler Themen in ihren Liedern. Bandleader Günter Hochgürtel kömt (lamentiert): „Wir können kaum noch junges Publikum anlocken, der Altersschnitt unserer Zuhörer liegt bei fünzig plus. Die nachwachsenden Generationen sprechen kaum noch Eifeler Platt, das sich im nordrhein-westfälischen Teil der Eifel ähnlich wie Kölsch anhört.“ 


 

Im südlich angrenzenden moselfränkischen Bereich kann man einen riesigen Unterschied zwischen Rheinland-Pfalz und dem Saarland feststellen. In Rheinland-Pfalz singt Manfred Pohl aus Bendorf-Sayn seit 50 Jahren wie Don Quinchotte gegen das Sterben seiner Muttersprache an, während andere Mundartsänger ins Staddarddeutsche gewechselt sind. Die Trierer Mundartszene ist nach Walter Liederschmitts (Woltähr) Tod 2013 kaum noch lebendig. Der Verein „Mir schwätze Platt“ um Gerhard Schommers in St. Aldegund an der Mosel ließ sich eine Hymne auf das Moselfränkische von Heinrich Kappel komponieren. In der westlichen Eifel singt Sylvia Nels aus Ingendorf in einem Platt, das schon die Nähe Luxemburgs spüren lässt und im Hunsrück singen Manfred Kupp mit Mouldafaaf und Why didn’t they ask Evans Lieder im Soon- und im Hochwälder Platt. Folker-Endredakteur Stefan Backes hat für seine Irish-Folk- und Hinzerter-Mundartband Why didn’t they ask Evans? sein Platt in Anlehnung an die lëtzebuergesche Rechtschreibung verschriftlicht, also mit entsprechenden Akzentzeichen. Das sind indes alles Leuchttürme im grauen Meer der Mundartvergessenheit.

     Walter Liederschmitt als keltischer Barde am 03.10.2009 in Trier
     Foto: MASchmiedel

 


                                    Why didn’t they ask Evans                   
                                          Foto: Jürgen Tribull


Why didn’t they ask Evans am 22.02.2014 beim Liedermacherabend im Memoriam Walter Liederschmitt in der TUFA in Trier, unten mit Eva Marx (l.) und Stefan Backes (r.)
Fotos: MASchmiedel
 

Im Saarland dagegen boomt die Mundart, ob die mosel- oder die rheinfränkische als identitätsstiftender Faktor, seit 25 Jahren unterstützt von Susanne Wachs auf SR3 und von der Saarbrücker Zeitung. Radionachrichten auf Platt, Politikerreden auf Platt und natürlich auch Musik auf Platt. In Saarbrücken ist Manuel Sattler ein erfolgreicher Mundartmusiker, aber nicht der einzige. Zur Rolle der Mundartmusik im Saarland räumt er aber ein: „Leider gibt es das Phänomen, dass die Dialekte häufig für Klamauk, Fastnacht oder Heimatfolklore - Lyoner, Maggi und Karlsbergbier -  genutzt wird.“


                                        Manuel Sattler
                                             Foto: Zippo Zimmermann

Ähnlich positiv wie im Saarland, wenn auch ohne Unterstützung des SWR, sieht es in Rheinhessen ((siehe eigenen Artikel von Fred Balz [Link: https://folker.world/intensiv/vun-weck-worscht-woi-un-wingertsweiber])) und der Pfalz aus. In Ludwigshafen ist die Gruppe Reinig, Braun & Böhm zu Hause und hat mit Pfalzrecords sogar ein eigenes CD-Label gegründet. Michael Wack von der Band Blueshimmel aus Zweibrücken erzählt von der Mundartmusik im Alltag wie auf Wein- und anderen Festen. Auch er lobt dabei die Unterstützung durch den SR aus dem Nachbarbundesland.                                                                     


 

                                            Michael Wack von Blues Himmel

                                            Foto: Bohnenberger


Susanne Wachs betont auch diese grenzüberschreitende euregionale Identitätsförderung durch die Mundart, welche somit nicht ausgrenze, sondern einschließe, und zwar nicht nur über die Bundeslandgrenze hinweg, sondern auch über die Grenzen zu den europäischen Nachbarn im Westen hin. Wichtig, wenn auch weniger musikalisch als literarisch sind die Bosener Symposien, zu denen jährlich Mundartdichter aus allen Dialekten der deutschen Sprache ins Saarland kommen. Ein Mitglied der Bosener Gruppe ist auch Ute Zimmermann aus Ludwigshafen, die zwar nicht singt, aber mit ihren kurzen poetischen vorderpfälzischen Texten gerne auch Manfred Pohlmanns Konzerte unterstützt.


Ute Zimmermann


La Schlapp Souvage mit Jo Nousse und Olivier Niedercorn
beide Fotos am 14.10.2023 in Bendorf-Sayn
auf Manfred Pohlmanns und Harald Beckers 50. Bühnenjubiläum
Fotos: MASchmiedel

Jo Nousse aus dem französischen Sierck-les-Bains im Dreilännereck (F-L-D), der auf Französisch, Moselfränkisch und Lëtzebuergesch singt, profitiert auch vom SR, während in Luxemburg auch Lëtzebuergesch singende Nichtluxemburger einen eher schweren Stand haben. Jo Nousse ist auch Teil des Duos La Schapp Sauvage, das mit lëtzebuergeschen und französischen Liedern auch inzwischen in Luxemburg Erfolge feiert. Und mit Manfred Pohlmann bildet er das Duo Mannijo. Auch Sylvia Nels aus Rittersdorf in der Eifel singt auch Lëtzebuergesch, womit sie in Deutschland aber mehr Erfolg hat als in Luxemburg. Der Staat Luxemburg erklärte seinen moselfränkischen Dialekt zur Nationalsprache, so dass das Lëtzebuergesche eine so genannte Aufbausprache ist, die einen Weg anfing, den das Niederländische lange hinter sich hat. So ist auch Lëtzebuergesch in der Musikszene eine ganz normale Sprache neben Deutsch und Französisch. luxemburgisch singende Musikschaffende im Nachbarland sind der Nationalbarde Serge Tonnars mit Legotripp aus der Stadt Luxemburg und d’Dëppegéisser (gegründet 2012).

                                        Marcel Adam
                                             Foto: Promo
 

In Lothringen dagegen sind die deutschen Dialekte weiter auf dem Rückzug, wogegen auch der lothringisch-rheinfränkische Sänger Marcel Adam, der in Kleinblittersdorf im Saarland lebt, nichts ändern kann. Der 72-Jährige hat mehr Fans im Saarland, aber auch in Rheinland-Pfalz und bis ins Nordbadische und macht derzeit seine dreijährige Abschiedstour. Ein Problem für die deutschen Mundarten in Lothringen ist, dass der französische Staat keine Anstrengungen unternimmt, Minderheitensprachen im eigenen Land zu fördern, alles hängt von privatem oder lokalem Engagement ab. Darüber hinaus gibt es kein großes Netzwerk der rhein- und moselfränkischen Mundartsprechenden gibt, wie es zum Beispiel die Bretonen mit Sprecher:innen anderer keltischer Sprachen und dadurch auch mit deren Musikkulturen haben. Zwar gibt es mit Mir redde Platt im lothringischen Sarreguemines ein Plattmusikfestival Sarreguemines (Saargemünd), aber auch das zieht mehr Menschen aus dem Saarland als von französischer Seite an. Der Leiter des dortigen Kulturamtes Hervé Atamaniuk gilt als großer Unterstützer der lothringischen Mundart, sammelte selbst Lothringer Mundartlieder und gründete die Gruppe Schaukelperd.

Fazit: In den behandelten Regionen gibt es Menschen, die sich um ihre Mundart kümmern und auf ihr musizieren und zwar noch mehr, als hier im Artikel namentlich erwähnt. Ob Mundart boomt oder stirbt, hängt viel von den Menschen ab. Finden Sie in ihrer Mundart einen wichtigen Identitätsfaktor, welcher durch Musik nicht unwesentlich emotionalisiert wird, und wird diese durch die Medien wie das Radio unterstützt, dann lebt sie. Köln, das Saarland und Luxemburg zeigen das auf unterschiedliche Weise. Wo das fehlt, weicht sie nach und nach der Standardsprache, sei sie Deutsch oder Französisch – und mit ihr auch die Mundartmusik. 

Edelzwicker mit Harald Becker und Manfred Pohlmann bei ihrem 50-jährigen Jubiläum in der Krupp’schen Halle in Bendorf-Sayn (Bericht im Folker folgt)
Foto: MASchmiedel

 

Der Autor, also ich, dankt für Infos und Einschätzungen:
Marcel Adam (Kleinblittersdorf)
Stefan Backes (Bad Kreuznach)
Guntmar Feuerstein (Bochum)
Günter Gall (Osnabrück)
Günter Hochgürtel (Nettersheim)
Winfried Kappes (Krefeld)
Götz Konrad (Eschenburg)
Jó Nousse (Sierck-les-Bains)
Manfred Pohlmann (Engers)
Manuel Sattler (Saarbrücken)
Gerhard Schommers (St. Aldegund)
Susanne Wachs (Saarbrücken)
Michael Wack (Zweibrücken)
Reiner Weisbecker (Frankfurt)
Werner Zahn (Detmold)

(De Kölsche han all kein Zick för su jet.)

 

Wer will, kann hier stöbern:

www.bap.de

www.blaeckfoeoess.de

www.bosenergruppe.saar.de

www.brings.com

www.catballou.de

www.deppegeisser.lu

www.eifel-exclusive.de/eifel-kultur-künstler/sylvia-nels-mundart.html

www.facebook.com/beeschtebaenner

www.facebook.com/Schaukelperd

www.floenzrakete.jimdofree.com

www.frank-baier.de

www.gerd-koester.de

www.guenter-hochguertel.de

www.guggugg.de

www.handkaes-mit-orange.de

www.hoehner.com

www.kasallamusik.de

www.koelschemusik.info/BandsInterpreten.htm

www.facebook.com/laschlappsauvage

www.laschlappsauvage.eklablog.com

www.lippske-leuer.de

www.manfred-pohlmann.de

www.manniskleinewelt.com

www.manuelsattler.de

www.meelstaa.de

www.michael-wack.com

www.mir-schwaetze-platt.de

www.mundart-hessen.de

www.mundartprojekte.de

www.musikweltmusik.de (Pfalzrecords)

www.paveier.de

www.raeuber-band.de

www.reinig-braun-boehm.de

www.schwarzworz.de

www.sr.de/sr/home/der_sr/so_kommunizieren_wir/aktuell/20180604_pm_mundartpreis_susanne_wachs100.html

www.sylvia-nels.de

www.tommyengel.de

www.tonnar.lu

www.web.archive.org/web/20180414014522/http://voltaire-woltaehr.de/  

www.whydidnttheyaskevans.bandcamp.com

 

Dieser Text ist online zu finden unter:
https://folktreff-bonn-rhein-sieg.blogspot.com/2023/10/folkiger-rundbrief-nr-2023-1-spezial.html


Die vier Überblicksartikel über Dialektmusik in allen vier Himmelsrichtungen im Folker 3.2023 sind zu finden unter:

Gerd Brand.
Plattmusik im Norden – Die Szene lebt:
https://folker.world/intensiv/dialektmusik-in-allen-himmelsrichtungen-1/

Tim Liebert.
Der Osten – Niederschwellig, aber lebendig:
https://folker.world/intensiv/dialektmusik-in-allen-himmelsrichtungen-2/

Ulrike Zöller.
Der Süden – Alles außer Hochdeutsch?:
https://folker.world/intensiv/dialektmusik-in-allen-himmelsrichtungen-3/

Michael A. Schmiedel. Der Westen – Zwischen Alltagssprache und Sprachenrettung:
https://folker.world/intensiv/dialektmusik-in-allen-himmelsrichtungen-4/


Andere Mundartmusikartikel im selben Heft:

Redaktion. Mund.Art.Musik. Aus der Quelle schöpfen:
https://folker.world/intensiv/mund-art-musik/

Imke Staats. Wiebke Colmorgen und Hardy Kayser. Das Französisch des Nordens:
https://folker.world/intensiv/wiebke-colmorgen-und-hardy-kayser/

Martin Steiner. Schweizer Dialektlieder. Viele Spuren führen nach Bern – und Wallisellen:
https://folker.world/intensiv/schweizer-dialektlieder/

Ulrich Joosten. Der Weiherer. Kein Blatt vorm Mund:
https://folker.world/intensiv/der-weiherer/

Jens-Peter Müller. Heimatklänge im deutsch-dänischen Grenzland. Friesenfolk:
https://folker.world/intensiv/heimatklaenge-im-deutsch-daenischen-grenzland/

Reinhard „Pfeffi“ Ständer. Säggs’sche Lieder für das Folk. Das Dresdner Duo Unfolkkommen:
https://folker.world/intensiv/saeggssche-lieder-fuer-das-folk/

Fred Balz. Vun Weck, Worscht, Woi un Wingertsweiber. Rheinhessische Mundart in Wort und Musik:
https://folker.world/intensiv/vun-weck-worscht-woi-un-wingertsweiber/

Martin Steiner. Poesie aus dem Berner Oberland:
https://folker.world/intensiv/poesie-aus-dem-berner-oberland/

Christoph Wagner. Alles nicht gelogen:
https://folker.world/intensiv/alles-nicht-gelogen/

 

Und hier noch was Älteres:

Michael A. Schmiedel. Deutschfolk 2019.Sound of Heimat 1.0. Kunstrasen, Bonn, 29.6.2019:
https://www.folker.de/Artikel.php?ausgabe=201905&art=Ortstermin4

 

(Alle Links geöffnet am 16. oder 20.&21,10.2023)

 

Dieser Text wurde bearbeitet am 21.07., 01.08., 06.08., 16., 17., 20. 21. und 23.10,2023. Eventuell kommt noch hier und da was dazu oder wird was korrigiert